Mittwoch, 8. Dezember 2010

Der erste(?) Cyberkrieg

„Fast ein Jahrhundert nach dem Ersten Weltkrieg läuft der erste cyberWeltkrieg. Die Nationalstaaten gegen die Freiheit.[1]

Julian Assange ist verhaftet, die Vergewaltigungsvorwürfe wirken wie aus einer schlechten Verschwörungstheorie und Amerika hat angeblich einen Auslieferungsantrag gestellt. Aber, dass man gleich den ersten „cyberWeltkrieg“ ausrufen muss? Viele sehen wohl Wikileaks als Repräsentant des freien Internets und der freien Meinungsäußerung? Klar: Auf Wikileaks kann ich Geheimunterlagen und brisantes Material veröffentlichen und einsehen. Dinge, welche die Regierung gerne vertuschen möchte, haben dort ihre Plattform. Und Wikilieaks hat durchaus Dinge veröffentlicht, bei denen ein großer öffentlicher Druck wichtig und hilfreich war.

Aber wie ihr wisst, stehe ich auf krasse Vergleiche. Denn: Wenn ich das Recht postuliere, nicht um sonst als „vertraulich“ eingestufte Dokumente ohne weiteres veröffentlichen zu dürfen, postuliere ich damit nicht auch, dass es voll und ganz OK ist, das Amateurvideo mit der Ex, welches ich ja immerhin selbst gedreht habe, zu veröffentlichen? Oder zu twittern, worüber sich mein bester Freund eben bei mir ausgeheult hat? Sowohl bei Wikileaks, als auch bei dem Amateurvideo kann für die andere Seite enormer Schaden entstehen. Und mein bester Freund wird mich zu Recht für einen Verräter halten, da er ja davon ausgegangen ist, dass das, was er bei mir loswerden wollte, unter uns bleibt. Darin stimmen wir doch hoffentlich überein, oder?

Aber gut: Wikileaks spielt auf einer ganz anderen Ebene und wenn Unrecht geschehen ist, sollte es auch geahndet werden. Die Frage ist nur wie es veröffentlicht wird und ob es auch Unrecht war. Dass jede Regierung über jeden Politiker, der für dieses Land interessant ist ein Dossier führt, ist doch wohl allen bekannt. Der Film „Der Anschlag“ dreht sich größtenteils um eine solche Abteilung. Nur gestattet mir die Frage: Muss die Meinung, die ich über meine Kollegen oder meinen Chef habe, wirklich jeder wissen? Entsteht da nicht ein enormer diplomatischer Supergau? Und fallen solche Unterlagen unter „unethisches Verhalten einer Regierung“? Über die zweifelhafte Beschaffung gab es eigene Dokumente, die alleine auch gereicht hätten. Wem solche Unterlagen in die Hände fallen, sollte meiner Meinung nach damit verantwortungsbewusst umgehen. Und eine Veröffentlichung ist nicht automatisch verantwortungsbewusst. Denn zum Beispiel Israel hat bestimmt irgendwo Pläne für einen zweiten „Sechstagekrieg“ gegen den Libanon. Oder die USA besitzt bestimmt Pläne für einen taktischen Erstschlag gegen Nordkorea. Werden diese Dokumente aber veröffentlich, provozieren wir einen Krieg, auch wenn diese Pläne von selbst eventuell nie in die Tat umgesetzt worden wären.[2]

Anders ist es noch bei Dokumenten über Folter gegen Kriegsgefangene oder in Guantanamo Bay. Hier liegt offensichtlich Folter vor. Aber ist es wirklich klug, etwas in die Welt herauszuschreien, was für die Gegner der eigenen Soldaten ein gefundenes Fressen darstellt? Ist vielleicht gerade der, der im Krieg meinen Freund bei der Army tötet, durch diese, meine Veröffentlichung dazu bewegt worden am Krieg teilzunehmen? Gut... das ist jetzt etwas pathetisch, das gebe ich zu, aber von der Hand zuweisen ist es genauso wenig, wie die Tatsache, dass gegen unethisches Verhalten vorgegangen werden muss und Folter absolut verachtenswert ist – zumal in einem Land, welches „die Zivilisation in die Welt tragen will.“ Aber gibt es da nicht bessere Lösungen? Kann ich den Stoff nicht einem Kriegsgegner im Kongress, Bundestag, etc. anvertrauen, der das vielleicht in einer geschlossenen Sitzung auf die Tagesordnung bringt? Oder an die UN weiterleiten? Muss ich es als ersten Schritt veröffentlichen, auch wenn ich Gefahr laufe, ein Strohfeuer zu entzünden, in dem mein eigentliches Anliegen untergeht?

Natürlich: Manche Verhaltensweisen dürfen nicht hingenommen werden und Folter gehört dazu. Jedoch muss ich mir die Frage stellen, ob so manches Wissen nicht auch eine enorme Verantwortung mit sich bringt und ob ich bereit bin, die Konsequenzen meines Handelns abzuschätzen und diese zu tragen. Wir leben in Freiheit und wir sind frei in unserer Meinung und unserer Rede und das soll auch so bleiben. Aber Freiheit heißt nicht Beliebigkeit, sondern Verantwortung für mich selbst und für andere. Das spricht genauso für Wikileaks, wie gegen eine unreflektierte Veröffentlichung.


In diesem Sinne: Denkt nach, bevor ihr handelt...

Der Michel


[1] Tweet von „Pirat_Aleks_A“ am 7.12.2010

[2] Die Frage, ob die Existenz dieser Pläne Unrecht oder unethisches Verhalten darstellt, ist diskussionswürdig, sprengt aber den Rahmen.

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